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8. Dezember 2020Wölfin Tala gibt Pfote, dreht sich im Kreis oder rollt sich auf den Rücken. Sie folgt den Kommandos ihrer Trainerin, die sich ihrerseits mit Streicheleinheiten und Fleischstücken revanchiert, während ihre Kollegin den Wolfsrüden Chitto mit dem Kopf durch ein Halsband schlüpfen lässt. Berührungsängste haben weder die Tiere noch die beiden jungen Frauen, die nach Einbruch der Dämmerung im Wolfsgehege vom Wildpark Ernstbrunn stehen und den staunenden Besuchern ihre Trainingserfolge präsentieren. Die Jacken der Beiden sind vollgestopft mit Leckereien, um die Motivation der Wölfe zu steigern. Was für die Beobachter vor dem Gehege leicht und spielerisch anmutet, ist das Ergebnis jahrelanger Arbeit, mit der sich die Trainerinnen das Vertrauen der selbstbewussten Tala und des fröhlichen Chitto erarbeitet haben.
Die Tiere werden mit der Hand aufgezogen
Seit nunmehr einem Jahrzehnt ziehen Wissenschaftler im Wolfsforschungszentrum (WSC) nicht nur Wölfe, sondern auch Hunde mit der Hand auf, um die Verhaltensweisen der Tiere im direkten Vergleich zu erforschen. Diese Methode ist weltweit einzigartig und lockt Studenten aus allen Erdteilen an, um zu lernen und an Projekten teilzunehmen. Derzeit leben 14 Timberwölfe (die meisten davon amerikanische Grauwölfe) und neun Mischlingshunde aufgeteilt auf sieben Wolfs- und vier Hunderudel in Ernstbrunn. Alle Tiere wurden mit der Hand und in Rudeln aufgezogen und im Anschluss mit erwachsenen Artgenossen sozialisiert, um ihr Verhalten zu erforschen.
Das Verhalten von Wölfen und Hunden im Vergleich
„Es macht keinen Sinn, Haushunde mit Wölfen zu vergleichen. Die Tiere müssen exakt gleich aufgezogen werden, um daraus forschungsrelevante Schlüsse zu ziehen,“ sagt WSC-Mitbegründerin und -leiterin Friederike Range. Das Meckern von Ziegen mischt sich mit Wolfsgeheul, während sie mit uns durch den Wildpark spaziert. Am Gehege wird sie mit freundlichem Schwanzwedeln begrüßt. „Wir ziehen die Wölfe in Welpenrudeln auf und sozialisieren sie im Anschluss mit erwachsenen Tieren. Mit unseren Hunden machen wir es genauso,“ erklärt die Biologin. Auch die Hunde wachsen nicht mit Menschen, sondern in einem Gehege als Mitglied eines Rudels auf.“
Rudelbesuch, Wolfsspaziergang und Heulnächte
Das WSC finanziert sich zu einem Großteil über Eintrittsgelder und Patenschaften. Das Interesse an der Tuchfühlung mit den Wölfen ist riesengroß, manch angebotene Erlebnisse sind bereits ein Jahr im Voraus ausgebucht. Zudem haben sich die Besucherzahlen im Tierpark Ernstbrunn seit dem Einzug von Isegrim verdreifacht. Verschiedene Packages werden angeboten, bei manchen haben die Teilnehmer die Möglichkeit, die Tiere zu streicheln, etwa bei einem Waldspaziergang mit einem Wolf oder einem Rudelbesuch im Gehege. Angeboten werden auch Fotoworkshops mit den Tieren oder sogenannte Heulnächte, bei denen Lagerfeuerromantik mit Trainingsvorführungen kombiniert.
Sikahirsche fressen aus der Hand
Der Wildpark Ernstbrunn erstreckt sich auf einer Fläche von mehr als 44 Hektar in den Leiser Bergen und wird seinem Namen gerecht. Viel Wild und viel Park. Er wurde 1975 eröffnet, stetig erweitert und lässt sich auf unterschiedlichen Rundwegen durchwandern. Die weitläufige Anlage bietet tierischen Bewohnern und menschlichen Besuchern reichlich Platz und Ruhe. Die Haus- und Wildtiere im Park sind keine Exoten und meist heimisch. Nach dem Besuch im Wolfsgehege wandern wir durch Eichen- und Laubmischwälder, auf Wiesen und entlang von Felswänden, begegnen Steinböcken, Gämsen, Wildschweinen, Ungarischen Zackelschafen, Rotwild, Hochlandrindern, Ziegen und Eseln. In den an das Gelände angepassten, artgerechten Gehegen sind bestimmte Tiere manchmal durch die vielen Rückzugsräume nicht zu sehen. Den Mufflons und Sikahirschen kommen wir hingegen sehr nah. Sie fressen Äpfel aus unseren Händen und lassen sich streicheln. Als die Abendsonne untergeht, wird die Stimmung verwunschen und magisch. Wir sehen den Wald vor lauter Hirsche nicht, in einiger Entfernung heulen die Wölfe im Chor. Nun wird es Zeit für ein in Reiseberichten inflationär verwendetes Wort: malerisch.