Die Bootsfahrt im Wirtshaus-Keller
7. Mai 2021Ein Geldschein und Carl Ritter von Ghega
26. November 2023Nachts sind die Pforten zum Zentralfriedhof geschlossen, niemand stört die Ruhe der rund drei Millionen Toten. Wenn sich die menschlichen Besucherinnen vor Sonnenuntergang verflüchtigt haben, regt sich tierisches Leben. Rehe, Hasen, Füchse, Dachse und verwilderte Katzen bevölkern die Begräbnisstätte in Simmering. Auf dem Dach der Karl-Borromäus-Kirche brüten Turmfalken, Eulen jagen im Gräbermeer ihre Beute. An ausgewählten Abenden schleichen auch Zweibeiner durch das Areal, um einer Fremdenführerin und den matten Lichtkegeln ihrer Taschenlampe zu folgen. Guide Gabriele Saeidi Razavi, die die Nachtführung am Zentralfriedhof seit 2018 anbietet, erzählt der Gruppe nach Einbruch der Dämmerung schaurige Geschichten von Wiedergängern, Exhumierungen, Grabräubern und kopflosen Leichen. Es ist eine der zahlreichen, jedoch die wohl schaurig-stimmungsvollste Möglichkeit, um die Stadt der Toten zu erkunden.
Zahnloser Walzerkönig, kopfloser Beethoven
Myriaden von makabren und geheimnisumwitterten Geschichten ließen sich über den Zentralfriedhof und seine Toten erzählen, wir beschränken uns auf ein paar wenige. 2002 stahl ein Grabräuber die künstlichen Gebisse der weltberühmten Komponisten Johann Strauss Junior (1825-1899) und Johannes Brahms (1833-1897) mit einer Kneifzange aus den Ehrengräbern. Der Plünderer kannte keinen Genierer, stellte die morbide Beute in seinem Zahn-Museum nahe Prag aus und präsentierte sie auf seiner Homepage. Der Tscheche soll seit vielen Jahren menschliche Schädel und Prothesen »sammeln«. Den Kopf von Ludwig van Beethoven hat jemand schon vor seiner Bestattung entwendet. Angeblich wurde das Haupt des Komponisten auf dem Seziertisch ebenfalls von einem »Sammler« gestohlen.
Verschwundene Hitler-Nichte
Rätselhaft ist auch die Geschichte rund um den Leichnam von Hitlers Nichte Angela Maria »Geli« Raubal (1908-1931). Im Alter von 23 Jahren erschoss sie sich mit der Pistole ihres Onkels in ihrer gemeinsamen Münchner Wohnung. Beerdigt wurde sie auf dem Wiener Zentralfriedhof in der Arkadengruft Nummer 9 gegenüber dem Portal zur Lueger-Kirche. Laut Historikern war sie die einzige große Liebe des späteren Diktators, über die Details der Beziehung sind sie uneins. Darum ist die Rolle von Raubal genauso legendenumrankt wie der Verbleib ihrer sterblichen Überreste. Ihre Gebeine wurden nach Kriegsende in ein Reihengrab, am Rande des Friedhofs, übersiedelt. Wo sich ihre letzte Ruhestätte heute befindet, ist ungewiss.
Den Wiener Zentralfriedhof bei Nacht entdecken
Zu bestimmten Terminen ist es möglich, den Friedhof bei Nacht zu erleben. Nach Sonnenuntergang startet die Tour »Eine Führung zum Fürchten – der Wiener Zentralfriedhof bei Nacht« mit Guide Gabriele Saeidi Razavi beim Haupttor (Tor 2). Die Führerin verteilt Taschenlampen und erzählt im Rahmen eines zweistündigen Rundgangs Historisches, Wissenswertes und Schauriges über den Zentralfriedhof und seine Toten. Falls jemand alleine jenseits der Sperrzeiten auf dem Zentralfriedhof unterwegs sein möchte: In der Nähe des Haupttores befindet sich ein Notausgang.
Quelle und noch viel mehr Geschichten aus und rum um Wien: »Spontan mit Plan – Wien«